• Interview mit Paolo Sorrentino

    In Ihrem neuesten Film zeigen Sie ein korruptes Italien. Hat sich die Situation seit Andreotti verbessert?

    Offenbar nicht. Nur, dass heute in Italien niemand über Korruption spricht – obwohl sie existiert und sogar zunimmt. Ich glaube, dass die Menschen nicht darüber sprechen, weil Tangentopoli* ein Schock für uns war. Eine Revolution, die sich nicht darauf beschränkte zu entscheiden, wer ehrlich war oder nicht, sondern bewusst oder unbewusst die Politik und die ehemalige politische Klasse änderte – mit endlosen Polemiken, Gegenschlägen und fürchterlichen persönlichen Tragödien.

    *Tangentopoli wörtlich „Stadt der Schmiergeldzahlungen“ von ital. tangente = Schmiergeld; wurde zum Synonym für die kriminellen Verflechtungen des politischen Systems in Italien

    Die Hauptcharaktere Ihrer Filme stehen immer außerhalb des Systems. Ist die Existenz am Rande der Gesellschaft eine Quelle der Inspiration für Sie?

    Was Sie über die Existenzen am Rande der Gesellschaft sagen, trifft auf meine früheren Filme zu. Für IL DIVO gilt genau das Gegenteil. Andreotti ist alles andere als eine Existenz am Rande der Gesellschaft. Er ist ein Mann mit Macht, der die Zusammenhänge dieser Welt besser kennt als jeder andere. Er weiß, wie man sich integriert, wie man die Führung übernimmt und miteinander harmoniert, je nachdem, wie es ihm gerade vorteilhaft erscheint. Er ist ein Mensch, bei dem Gerissenheit und Intelligenz auf höchstem Niveau zusammen kommen. Genau das hat ihn befähigt, Italien für viele Jahre zu regieren.

    Als Regisseur haben Sie eine gewisse Tendenz, das Hässliche zu verschönern. Warum?

    Das ist nicht von vornherein festgelegt. Wenn man eine Geschichte erzählt, ist man mit einer Reihe von Situationen, Handlungen, Gebräuchen und Landschaften konfrontiert. Es spielt keine Rolle, ob diese im wirklichen Leben schön oder hässlich sind. Ein Film braucht notwendigerweise eine ästhetische Qualität, und die muss – zumindest für mich – erfreulich sein. Kino hat die außerordentliche Macht, die ästhetische Wahrnehmung von tragischen oder schrecklichen Ereignissen zu verändern. Die großen Kriegsfilme vernachlässigen nicht den Horror des Krieges, geben ihm aber ein »wundervolles« ästhetisches Image.

    Ihnen scheinen die Kameraeinstellungen sehr wichtig zu sein. Erzählen Sie uns Ihre Vorgehensweise?

    Alles in einem Film ist wichtig, nicht nur die Kameraeinstellungen. Auch die Stimmung des Tontechnikers oder die Qualität des Caterings. Das Set ist ein Mikrokosmos, der durch die kleinste und unwichtigste Sache auseinander brechen kann. Eine einzige Kameraeinstellung kann, wenn sie gut durchdacht und ausgewogen ist, mehr verzaubern und aussagen als zehn Seiten Dialog. Aus diesem Grund können die Kameraeinstellungen nicht dem Zufall überlassen oder delegiert werden. Es gehört zu meinen Aufgaben, dem Film eine Aussage zu verleihen und wenn Gott will, die Zuschauer zu verzaubern.

    Dies ist Ihr dritter Film mit Toni Servillo. Wie arbeiten Sie zusammen, wie inszenieren Sie ihn? Wie hat er sich mit der Rolle Andreottis auseinander gesetzt?

    Meine Art, Servillo zu inszenieren, wird mit jedem Film minimaler. Das heißt nicht, dass ich keine Regie mehr führe. Aber wir kennen uns so gut, dass wir uns sofort verstehen und nicht jedes Detail erklärt werden muss. Das sind die Vorteile, wenn man sich kennt. Ich glaube, das Geheimnis unserer erfolgreichen Partnerschaft, ist unser gegenseitiges Vertrauen. Ein unerlässlicher Bestandteil, vor allem, wenn es sich um eine so schwierige und bedeutungsvolle Figur wie Andreotti handelt. Ich war sehr beeindruckt, wie Toni Servillo in die Rolle Andreottis schlüpfte. Ich hatte Unmengen von Bildmaterial über den echten Andreotti vorbereitet, aber er entschied, es sich nicht anzuschauen. Er wollte sich lieber auf das Drehbuch und die wichtigen Charakterbeschreibungen verlassen, die ich ausgewählt hatte. Ich glaube, das Schwierigste an dieser Figur ist ihre scheinbare Teilnahmslosigkeit und ihre Zurückhaltung. Die Gedanken und Stimmungen müssen deswegen mit beinahe unmerklichen Veränderungen des Ausdrucks kommuniziert werden. Es war also sicher keine leichte Rolle.

    Wie verhält es sich mit der Szene, in der Andreotti beichtet, während er in die Kamera schaut? Ist es ein Traum oder ein fiktionales Element, das mit der Geschichte nichts zu tun hat? Denn wir wissen ja, dass Andreotti nie etwas zugegeben hat.

    Für mich ist sie ein Traum. Es kann nicht anders sein. Aber sie hat auch eine erlösende Funktion, sowohl für den Zuschauer als vielleicht auch für Andreotti selbst. Ich weiß nicht, ob ich die Wahrheit getroffen habe, aber als Autor der Geschichte hatte ich das Gefühl, dass ich zumindest für einen Moment von meinem objektiven Blick auf die Figur und die Ereignisse abrücken und eine Interpretation wagen musste, um eine politische und nicht eine strafrechtliche Verantwortung zu schaffen. Was das letztere betrifft, so wollte ich mich mir nie anmaßen, den Richter zu spielen. Eine andere Szene, die die Ambivalenz der Figur unterstreicht, ist die, in der Andreotti und seine Frau den italienischen Popsänger Renato Zero im Fernsehen sehen: die dichten Close-Ups auf die Figuren wirken wie eine Feinabstimmung ihrer Emotionen. Das ist eine der Schlüsselszenen des Films. Ich habe versucht, für die Andreottis eine Dynamik zu erzeugen, die in jeder Beziehung auftauchen kann: das schreckliche Gefühl, dass uns der Mensch, mit dem wir das Leben teilen, auf einmal vollkommen fremd ist. Es ist ein quälender Moment, der uns das Gefühl gibt, vollkommen verloren zu sein. Ich bin sicher, dass das allen Paaren passiert, die längere Zeit zusammenleben. Wenn Andreottis Frau diese Zweifel lebt, führt das unvermeidlich dazu, dass tausend andere Zweifel aufkommen. Es handelt sich dabei nicht mehr um die üblichen Zweifel, ob der Partner dich betrügt, sondern Zweifel, die das Schicksal eines Staates, eines Landes, von Millionen Menschen betreffen. Andreotti hatte über die Jahre hinweg so viel Macht angehäuft, dass er über viele Dinge in Italien entscheiden konnte.

    Erzählen Sie uns über Ihr Verhältnis zur Musik, die ein wichtiges Element in Ihren Filmen ist. Es ist verblüffend, wie sehr sie ein Bestandteil Ihrer Art zu filmen ist. Würden Sie sagen, dass Ihre Filmsprache musikalisch ist?
    Ich würde mir wünschen, dass es so ist, aber ich bezweifle es. Aber ich nutze die Emotionen, die Musik bewirken kann, um eine Szene besser beschreiben zu können. Ich brauche Musik, um ein Drehbuch zu schreiben. Sie kann verwirrende Emotionen schaffen, aber auch ein bestimmtes Gefühl von Macht und Spannung. Das hilft mir, Szenen zu schaffen, die ich mir mächtig und spannend vorstelle. Ich schreibe nicht ein einziges Wort, bevor ich nicht eine neue »Bibliothek« mit Musik habe, die zu dem Gefühl des Films passt, den ich entwickeln möchte. Es war unvermeidbar, dass einiges der Musik, die mich beim Schreiben einer Szene inspiriert hat, im tatsächlichen Film auftaucht. Delphi Film

     

     

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