• Giulio Andreotti – Eckdaten

    il-divo-giulio-andreotti-635x425Giulio Andreotti, einer der bekanntesten und mächtigsten Politiker Italiens, wird am 14. Januar 1919 in Rom geboren. Er studiert Jura, wird Journalist und beginnt seine politische Karriere mit nur 28 Jahren als Protege des damaligen Premier Alice De Gasperi. Seitdem und über den Zusammenbruch der ersten Republik und seiner Partei, der Democrazia Cristiana, hinaus, gehört er der politischen Klasse an. Sieben Mal wird er Regierungschef, u.a. zehn Mal Verteidigungsminister, fünf Mal Außenminister, zwei Mal Finanzminister, ein Mal Innenminister, ein Mal Schatzminister sowie Minister für EU Angelegenheiten. Giulio Andreotti war Mitglied der 3. Ständigen Kommission der Sonderkommission für Menschenrechte und Mitglied der italienischen parlamentarischen Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Seit 1991 ist er Senator auf Lebenszeit. Der Politiker ist außerdem bekannt für seine engen, zuweilen freundschaftlichen Beziehungen zu Päpsten und hohen Würdenträgern des Vatikans, welche unter anderem als Basis seiner Macht angesehen werden können. Nirgendwo in Europa hatte ein Politiker über so lange Zeit so unterschiedliche parlamentarische Regierungsposten inne. 2006 kandidiert er noch für die politische Rechte für das Amt des Senatspräsidenten. Bis heute ist er aktives Mitglied im Senat des italienischen Parlaments. Mitte Januar 2009 feiert Andreotti seinen neunzigsten
    Geburtstag.

    Giulio Andreotti und Aldo Moro

    Ein wunder Punkt in der politischen Karriere Andreottis ist der Fall Moro. Die beiden lernen sich schon während des Studiums im Umfeld des katholischen Studentenbunds Italiens kennen. Obwohl sie der gleichen Partei angehörten, sind sie erklärte innenpolitische Gegner. Will Aldo Moro eine Öffnung nach links, um die Macht seiner eigenen Partei zu sichern, gehört Andreotti – nicht zuletzt aus Angst vor internationalen Sanktionen – zu den vehementesten Gegnern des Vorhabens, die Kommunisten in die Regierung mit einzubeziehen. Als Aldo Moro von den linksterroristischen Roten Brigaden entführt wird, lehnt die Regierung jegliche Verhandlung mit Entführern ab. Moro schreibt unermüdlich an Familie und Parteifreunde, die er auffordert, die Prinzipientreue um der Menschlichkeit willen aufzugeben. Andreotti stellt er moralisch an den Pranger – ohne diesen jedoch zu erweichen.

    Am 9. Mai 1978 wird er von seinen Entführern erschossen. Nach seinem Tod fehlt die Vermittlungskunst Moros innerhalb der DC. Moro war eben mehr als nur der Parteivorsitzende der Christdemokraten. Er war derjenige, der die unterschiedlichen Strömungen in seiner Partei immer wieder zusammenzuführen vermochte. 1990 tauchen Aufzeichnungen von Aldo Moro auf, die schwere Vorwürfe gegen Andreotti enthalten. Er wird mit der »Strategie der Spannung«, den terroristischen Aktivitäten von Geheimdiensten, Rechtsextremisten und der Geheimloge P2 sowie mit »Gladio«, einer geheimen Struktur innerhalb der Nato zur Bekämpfung kommunistischer Subversion in Verbindung gebracht.

    Giulio Andreotti und seine Beziehung zu Deutschland

    Alle seien damit einverstanden, dass es zwischen den beiden deutschen Staaten eine gute Beziehung geben muss. Der Pangermanismus* müsse jedoch überwunden werden. Es gäbe zwei deutsche Staaten und zwei sollen es auch bleiben. Der berühmte Fauxpas Andreottis, den er 1984 im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf einem kommunistischen Pressefest begeht, erregt seinerzeit die deutschen Gemüter. Niemand sei legitimiert, den aufrichtigen Willen der Bundesrepublik Deutschland zur Einhaltung der von ihr geschlossenen Verträge und der von ihr übernommenen Verpflichtungen in Zweifel ziehen, kontert der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher.

    Die Befürchtungen Andreottis sind offensichtlich. In einer Neutralisierung der DDR, die zu einer Neutralisierung Westdeutschlands führen könnte, sieht er eine reale Gefahr für Europa. Aber der Vorfall ist bald vergessen. Sowohl mit Schmidt als mit Kohl pflegt Andreotti ausgezeichnete Kontakte. Immerhin sind Italien und Deutschland Frontstaaten für Europa und Andreottis Engagement für ein starkes Westeuropa ist allgemein bekannt. Um so schlimmer war für Andreotti wohl die Übereinkunft von 1976 zwischen dem amerikanischen Präsidenten Ford, dem französischen Präsidenten Giscard d’Estaing und dem deutschen Kanzler Schmidt, Italien werde beim Einzug der Kommunisten in die römische Regierung keinerlei Wirtschaftshilfe mehr erhalten. Dies war eine Todeserklärung an Italien, erinnert sich Andreotti. Und ein politischer Balanceakt. Andreotti musste internationalen Forderungen gerecht werden, durfte aber auch die Kommunisten nicht verprellen, die die größte Konkurrenz für seine Partei waren. Einen Hinweis auf diesen Fakt gibt der Film Voice-Over zum Schluss. Andreotti wirke abwesend, heißt es. Vielleicht träume er vom Ruhm vergangener Tage als er noch die Deutschen und die Kommunisten zufrieden stellen musste…

    Quelle: DIE ZEIT, 21.09.1984: Lieber zweimal Deutschland als einmal

    *Der Pangermanismus war im 19. Jh. eine ethnisch begründete politische Bewegung in Europa. Die Napoleonischen Kriege setzten eine neue Bewegung in Gang, die während der französischen Revolution entstanden war: der Nationalismus.

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    Giulio Andreotti auf dem Weg zum Prozess. Fotos: © Delphi Filmverleih

     

    Giulio Andreotti und die Mafia

    Es wird behauptet, dass Andreotti in seiner Zeit als führender italienischer Politiker Kontakte zur Mafia hatte. 1993 kam es zu mehrfachen Beschuldigungen, die verschiedene geständige Mafiosi unabhängig voneinander gemacht hatten. Dem Politiker wurde vorgeworfen, Mitwisser der Cosa Nostra zu sein. Ein schwerer Vorwurf, zumal er seine innerparteiliche Basis in Sizilien hatte. Sein Kontaktmann in Palermo war jahrzehntelang der DC-Mann Salvatore Lima, der 1992 von der Mafia ermordet wurde. 1996 wird zum ersten Mal nach unzähligen Versuchen dem Antrag auf Aufhebung der Immunität des Senators auf Lebenszeit stattgegeben. Der zweifellos größte Mafiaprozess gegen einen italienischen Politiker beginnt. 1999 wird Andreotti von der Anklage, mit der Mafia in Kontakt gestanden zu haben, freigesprochen. Auch das Verfahren, in dem er des Mordes an dem Journalisten Mino Pecorelli angeklagt ist, endet zugunsten Andreottis. Obwohl er im Berufungsverfahren laut Anklage zu 24 Jahren Haftstrafe verurteilt wird, entscheidet das Kassationsgericht, dass die dem Klageverfahren zugrunde liegende Tat verjährt sei.

    Filmreif

    Durch die Aussagen geständiger Mafiosi ergeben sich jedoch komplexe Zusammenhänge zwischen Andreotti und der Mafia. 1976 versucht Andreotti vergebens, mit Schecks einer von der Mafia betriebenen Finanzierungsgesellschaft den Zusammenbruch des Bauunternehmens der mit ihm befreundeten Gebrüder Caltagirone zu verhindern und löst damit den Skandal um die Italcasse aus. Darüber, über die Existenz von Gladio und über ein Treffen mit dem mafiosen Bankrotteur Sindona in New York wusste Aldo Moro Bescheid und schrieb dieses Wissen während seiner Gefangenschaft nieder. Die entsprechenden Passagen tauchen nicht etwa 1978 mit den restlichen Dokumenten Moros auf, sondern erst zufällig im Jahr 1990. Wahrscheinlich kannte General Alberto Dalla Chiesa diese Dokumente und informierte den mit ihm befreundeten Enthüllungsjournalisten Mino Pecorelli über die Zusammenhänge. In seinem Osservatore politico lässt er durchblicken, wovon er wusste. Nach Aussagen der Ex-Mafiosi war Andreotti der Auftraggeber dieses Mordes. Durch Salvo Lima habe er Kontakt mit der Mafia aufgenommen.

    Giulio Andreotti über »Il Divo«

    Andreotti ist alles andere als begeistert über den Film. Seine Corrente [Gefolge] sei doch kein Zoologischer Garten gewesen. Besonders die Traumsequenz, in der Servillo alias Giulio zugibt, dass es notwendig sei, Böses zu tun, um Gutes zu erreichen, regt ihn auf: Der Film sei gemein, eine »Schurkerei«. Er versuche, die Realität zu verdrehen und lässt ihn mit Personen sprechen, die er nie kennengelernt habe. Dennoch verstehe er den Regisseur. Sein Leben sei so ruhig, dass andernfalls wohl ein platter Film ohne jeden Pfeffer herausgekommen wäre. Nur einmal soll er gelächelt haben. Als Andreotti Cossiga gesteht, dass Mary Gassmann die große Liebe seiner Jugend war. Delphi Film

    Quellen:

    – Presseheft zum Film “Il Divo”.
    – La Repubblica, 15.05.2008: Giulio e Andreotti.
    – Christian Jansen: Italien seit 1945.
    – Friederike Hausmann: Kleine Geschichte Italiens.
    – Sergio Flamigni: Convergenze parallele: Brigate rosse, i servizi segreti e il delitto Moro.
    – Bruno Vespa: 1989-2000 -10 anni che hanno sconvolto l’Italia.

     

     

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